Immer wieder gerne nehme ich mir das Buch “Der Dativ ist dem Genetiv sein Tod – Folge 3” von Bastian Sick vor, um darin zu stöbern. Mehrfach bin ich dabei allerdings im Kapitel “Bitte verbingen Sie mich zum Flughafen” über seine Beschreibung von “bergen” und “retten” gestolpert. Auch wenn es nicht auf den ersten Anschein so aussieht: Zwischen diesen beiden Verben gibt es einen wesentlich Unterschied, wie auch die Zwiebelfischkolumne weiß.
Während Gegenstände immer aus einer gefährlichen Situation, wie zum Beispiel dem Einsturz eines Hauses nach einer Gasexplosion, geborgen werden, so sollte man mit diesem Wort in Bezug auf Personen sehr umsichtig sein. Wird ein solcher Betroffener geborgen, ist er nämlich kein Fall mehr für den Rettungsdienst, sondern sollte vielmehr dem Leichenwagen übergeben werden, da ihm nicht mehr geholfen werden kann. Insofern wünsche ich mir stets, daß – für den Fall, daß ich selbst in eine solch missliche Lage käme – ich von den Rettungskräften gerettet und nicht geborgen werde (deshalb heißen diese übrigens auch “Rettungskräfte” und nicht “Bergungskräfte”, obwohl es früher auch “Bergungshelfer” gab – die hatten aber andere Aufgaben).
Leider scheint dieser kleine, feine, aber nicht minder wichtige Unterschied gerade bei der schreibenden Zunft nicht sonderlich bekannt zu sein, denn auch in den sonst sprachlich sehr hochwertigen Medien werden gerne Verletzte “geborgen und ins Krankenhaus gebracht” – anders herum hätte ich es ja gerade noch verstanden (“… wurde gerettet, wobei er auf dem Weg ins Krankenhaus an den schweren Verletzungen starb.”). Beispiele finden sich hierzu unter anderem bei der Welt
“Kröll musste mit dem Hubschrauber geborgen und ins Krankenhaus gebracht werden. Er erlitt einen Bruch des linken Oberarms mit Beteiligung des Oberarmkopfes”
oder dem ORF:
“Der Lenker wurde eingeklemmt und musste von der Feuerwehr geborgen werden. Der Verletzte wurde ins Krankenhaus gebracht.”
Besonders peinlich wird es, wenn selbst die Pressestelle der Polizei den Unterschied nicht zu kennen scheint:
“Der Fahrer, der durch die Freiwillige Feuerwehr […] sowie das DRK geborgen werden musste, wurde schwer verletzt.”
Und selbst der Verlag, der die Zwiebelfischkolumne betreibt, ist nicht gegen merkwürdigen Aussagen immun:
“Eine der Verschütteten konnte lebend geborgen werden […]”
Den sprachlichen Unterschied brachte einmal ein Kollege auf den Punkt, als er mit Falten auf der Stirn sagte: “Hoffentlich haben wir diesen Verletzten gerettet und nicht geborgen”. Nach einem ersten Gedanken über die Rabiatheit der Rettungsmethoden kam ich dann aufgrund weiterer Ausführungen über die Art der Verletzungen und meiner Erfahrung mit ihm doch schnell zu dem Schluß, daß die Ursache für die sorgenvollen Worte doch bereits in der Schwere der Verletzungen vor der Rettungsaktion zu suchen seien. Besonders spannend wäre allerdings gewesen zu erfahren, was ein durchschnittlicher Vertreter der Medien aufgrund der Worte meines Kollegens publiziert hätte. Ob da vielleicht dann die Überschrift “Rettungskräfte zweifeln an Bergung” dabei herausgekommen wäre?
Ja ein sehr wichtiger Unterschied – genau wie der Unterschied einer Trage (gedacht zum Retten und Transport Verletzter) und einer Bare (gedacht zum Bergen von Toten und deren Transport).
Was mir in dem Zusammenhang aber auffällt: Es scheint sich hier um eine weitere Evolutionsstufe des Menschen zu handeln, den “Homo Sapiens Materialis” oder vielleicht den “Homo Sapiens Monitaris”. Denn: Von einer Euro-Bergung spricht ja derzeit auch keiner, dieser monitäre / materielle Wert soll stets gerettet werden. Komische Welt in der wir leben …